Mittwoch, 12. September 2018

Tansania-Safari: Camping auf der Nilpferd-Autobahn

Das tragbare Moskitonetz geht beim Fly Camping als Zelt durch (Foto © Maike Grunwald)
Allein. Im Minizelt. Mitten in Tansanias Savanne. Wie ich während einer Safari-Tour eine abenteuerliche Nacht unter wilden Tieren verbrachte und mir dabei fast in die Hose machte. 




Keine Menschen, keine Hütten, kein Handyempfang


Es ist ja nicht so, dass man mich nicht gewarnt hätte. Entlegen, wild und menschenleer sei es hier. Ein Ort, der nur den Nilpferden, Elefanten, Büffelherden und Raubtieren gehört, den Löwen, Hyänen, Leoparden, Geparden und Krokodilen. Mitten im Katavi-Nationalpark im Westen Tansanias. Aber ich hatte Lust auf ein Abenteuer. 

Menschen gibt es im Katavi Nationalpark fast keine. Dafür Tausende Nilpferde (Foto © Maike Grunwald)



Und abenteuerlich ist es hier in der Tat. Seit wir mit einer winzigen Cessna vom Kilimanjaro Airport hergeflogen und auf einem Sandstreifen mitten im afrikanischen Busch gelandet sind, haben wir die Zivilisation hinter uns gelassen. Zwei weitere Safari-Gäste, die Angestellten des Zeltcamps, ein paar Nationalpark-Ranger – sonst haben wir keine Menschenseele mehr gesehen. Hier gibt nur Zelte für die Gäste. Keine Hütten, kein fließend Wasser, kein Internet, keinen Handyempfang. 

Tausende Nilpferde


Dafür spektakuläre Raubtiere, denen wir jeden Tag begegnen. Und Tausende Nilpferde. In der Trockenzeit drängen sie sich in den verbliebenen Tümpeln und Pfützen zusammen, um in der Sonnenglut nicht auszutrocknen. Die Trockenheit und Enge macht sie agressiv: Hippos sind revierbezogen und dulden außer ihrer Familie niemanden in ihrer Nähe. Weil es immer wieder zu tödlichen Unfällen mit Menschen kommt, zählen die Tiere, obwohl Vegetarier, statistisch gesehen zu den gefährlichsten Säugetieren Afrikas. Im Schutz der Nacht kommen sie aus den Schlammlöchern, um zu grasen. Dabei legen sie weite Strecken zurück. Ihre Trampelpfade durchziehen die Ebene. "Hippo Highways" nennt sie unser Guide, "Nilpferdautobahnen". 

 
In der Trockenzeit drängen sich die Hippos in den Wasserlöchern im ausgetrockneten Fluss zusammen (Foto © Maike Grunwald)


Und genau hier liege ich nun. In einem winzigen Zweimannzelt. Allein. Im Dunkeln. Wir sind auf "Fly Camping Safari" irgendwo am Rande der Katsunga-Ebene, eine halbe Tagesfahrt entfernt vom "Chada Katavi Camp", dessen komfortabel große Zelte mit nostalgischen Safari-Holzmöbeln, Eimerduschen und Ökotoiletten ausgestattet sind. Zivilisiert sozusagen. Wer es noch spannender haben will, kann hier „Fly Camping Safari“ als Extra-Abenteuer buchen: Wildes Kampieren in Mini-Zelten, die jeweils nur für die Nacht aufgebaut sind. Das ganz große Abenteuer. Intensiver kann man Afrika kaum erleben. 

Vorbei an Löwen, die Nilpferde fressen


Am Nachmittag sind wir mit dem Land Rover durch die ausgetrocknete Landschaft gefahren, bis die Sonne unterging – vorbei an Tierkadavern, an denen Hyänen nagten, vorbei an immensen Krokodilen, Giraffen, Elefanten, Leoparden, Löwen. Außer unserem Guide ist Stefan dabei, ein Ranger mit Kalaschnikow. Er soll uns beschützen, wenn wir morgen auf Walking-Safari zu Fuß durch die Wildnis gehen, auf den Spuren der Tiere. Vielleicht als erste Menschen, die ihr Revier betreten und sogar auf demselben Boden geschlafen haben wie sie. Wie Tarzan. Davon habe ich schon als Kind geträumt. 

Löwe frisst Nilpferd. Normalerweise sind Hippos zu gefährlich als Beute, aber in der Trockenzeit hat das Rudel den Kampf gewagt (Foto © Maike Grunwald)


Eimerdusche und Plumsklo mit Aussicht


Dickson ist mit seinen Kollegen vorausgefahren, um unser Lager aufzubauen. Zwischen Palmen und Dornenbüschen stehen die winzigen Zelte, vor jedem ein malerisches Safari-Klappwaschbecken aus Holz und Zeltplane, weiter hinten unter freiem Himmel ein Gemeinschafts-Plumpsklo und die Eimerdusche hinter einem Sichtschutz aus Stoff. So muss Safari sein.

Badezimmer beim Fly Camping: Eimerdusche und Pflumsklo mit Aussicht (Foto © Maike Grunwald)

 Wenn ein Elefant vorm Zelt steht ....


Am Lagerfeuer haben wir den blutroten Sonnenuntergang betrachtet, Gegrilltes genossen und uns Mut angetrunken für die dunklen Stunden im Minizelt. Denn schon die Nächte im Hauptcamp waren abenteuerlich. Elefanten stapfen dort gern umher, auf der Suche nach Wasser und den Früchten der Tamarindenbäume, unter denen die Zelte stehen. Mohammed, der Manager, erzählte uns, wie er einmal plötzlich vor einem stand. Das überraschte Tier griff an. "Ich fiel hin und lag fast unter dem tobenden Bullen. Zum Glück kam ein Ranger vorbei und schoss in die Luft, sonst wäre ich zertrampelt worden." Wie beruhigend. 


Unvergesslich: Lagerfeuer in der Savanne (Foto © Maike Grunwald)


Wegen der Hyänen muss der Müll unter Verschluss gehalten werden. Und nach Einbruch der Dunkelheit darf kein Gast ohne Begleitung durchs Camp gehen. "Wenn ein Elefant zu nah ans Bett kommt, leuchte ihn mit der Taschenlampe an. Manchmal geht er dann weg", riet mir ein Angestellter vor dem Zubettgehen. Ob es stimmt, dass Löwen Menschen in Zelten nicht als Beute wahrnehmen, traute ich mich dann nicht mehr zu fragen. 

Elefanten sind nur gefährlich, wenn man sie überrascht (Foto © Maike Grunwald)


Allein im Mini-Zelt


Das sind die Dinge, die mir nun im Kopf herumgeistern, während ich in meinem Fly-Safari-Zeltchen liege. Eigentlich ist es nur ein Moskito-Netz in Zeltform. Über mir leuchten die Sterne. Sonst sehe ich nichts. Romantisch? Ja. Aber auch dunkel. Sehr dunkel. Wenn jetzt ein mies gelauntes Nilpferd direkt neben meinem Kopf stünde, könnte ich es nicht sehen. Aber die Taschenlampe anschalten? Ausgeschlossen! Wer weiß, was ich dann sehe? Beziehungsweise: Wer weiß, was mich dann sieht, in meinem fast durchsichtigen grünen Zelt?  


Huhu, Hyäne? Maike im Zelt  (Foto © Maike Grunwald)


Zitternd ziehe ich die Decke unters Kinn. Ich muss an die Geschichte von dem Fotografen denken, der vergessen hatte, sein Zelt zu schließen. Als er vom Abendessen wiederkam, stand eine Löwin drin. Er machte den Fehler, davonzulaufen, weckte ihren Jagdtrieb und wurde getötet. 

Gute Nacht, Hyänen! Gute Nacht, Löwen.


Dann höre ich die Hyänen. Ihre lang gezogenen, heiseren Uuuuui-Rufe klingen näher als beim Abendessen. Nur 500 Meter entfernt seien sie gewesen, hatte ein Camp-Angestellter anhand der Lautstärke geschätzt. Jetzt habe ich den Eindruck, als säßen sie zu meinen Füßen. Immerhin sehe ich sie nicht. Aber es könnte vielleicht nicht schaden, für alle Fälle eine Art Testament zu schreiben. Kann ich das auch im Dunkeln schaffen? Da fällt mir ein, dass ich mir heute beim Schreiben meines Reisetagebuchs eine Papier-Schnittwunde zugezogen habe. Der Finger hat ganz schön geblutet. Ob Hyänen so etwas wittern? 

Irgendwie gelingt es mir, mich zu beruhigen. Bis die Löwen anfangen zu brüllen. In der Trockenzeit neigen sie zu Verzweiflungstaten. Einen Tag zuvor haben wir, ebenfalls in der Katsunga-Ebene, ein Rudel beobachtet, das ein Nilpferd erlegt hatte. "Eigentlich gehören die nicht zu ihren Beutetieren, da sie so schwer zu töten sind", meinte der Guide. "Der Kampf hat eine Stunde gedauert." Wie viel bequemer wäre da ein Happen Mensch! An Schlaf ist nicht zu denken.

Diese Löwin wollte nur trinken - das Hippo erlaubte es nicht. Einige Meter weiter liegt der Kadaver des Nilpferds, das die Löwen am Vortag erlegt haben (Foto © Maike Grunwald)


Die Angst vor der Toilette des Todes


Vor lauter Aufregung muss ich jetzt auch noch. Das geht aber nicht, denn das Klo ist ja außerhalb meines Zelts, und das darf ich im Dunkeln nicht verlassen. Zumindest nicht, ohne einen der Angestellten mit Taschenlampen-Lichtsignalen herbeizurufen, damit er mich dorthin eskortiert. Die Vorstellung, mich nachts ans Freiluft-Örtchen zu begeben, ist mir aber nicht geheuer. Ich denke an die Schwarze Mamba, die am Flugstreifen direkt über der Kloschüssel im Dachstuhl hing. Ein Ranger mit Gewehr bewachte den Eingang, damit keiner die Toilette des Todes betrat. Die Schlange kann blitzschnell hintereinander zubeißen und dabei bis zu 400 Milliliter Gift injizieren. Genug, um bis zu 25 Menschen zu töten. 

Was ist das? Hat sich da nicht etwas unter dem Zeltboden bewegt? Ich mache Yoga-Atemübungen und versuche, nicht an den Skorpion zu denken, den meine Mitreisenden gestern aus ihrem Zelt befördern mussten. 

Wenigstens kann ich hier nicht überfahren werden


Ich muss tatsächlich kurz eingeschlafen sein. Jedenfalls werde ich geweckt – von ohrenbetäubendem Rauschen. Ist das Regen? Werden wir gleich von Springfluten davongetragen? Unruhig lausche ich, bis mir klar wird, dass die Borasis-Palmen zwischen unseren Zelten die Lärmquelle sind. Sie rauschen bei Wind besonders laut, hatte unser Guide am Abend zuvor erzählt. Es rauscht dermaßen, dass eine ganze Nilpferd-Familie neben mir stehen und mich aggressiv angrunzen könnte, ich würde es nicht bemerken. 

Ich rufe mir beruhigend ins Gedächtnis, dass in Afrika weitaus mehr Menschen bei Verkehrsunfällen sterben als durch große Tiere. Hier gibt es keine Autos, keine Straßen, also bin ich statistisch gesehen sicher. Aber es gibt Nilpferd-Autobahnen. Nächstes Mal nehme ich vielleicht doch lieber ein Beruhigungsmittel, wenn ich auf Camping-Safari gehe. Dass ich es wieder tun würde, stelle ich nicht in Frage. Was auch passiert – es wäre das Erlebnis wert. 

Der Wind flaut ab. Ich kann wieder die Löwen brüllen hören. Das beruhigt mich, denn sie klingen weiter weg als vorhin. Als es endlich hell wird, sehe ich, dass keine Hippos neben mir stehen, auch keine Hyänen. Nur Dickson. Er will wissen, ob ich zum Frühstück Rühreier und Speck haben möchte. 

Abenteuer am Morgen danach: Walking-Safari mit bewaffnetem Guide und Ranger (Foto © Maike Grunwald)


Mehr Infos & Reiseveranstalter

In den unentdeckten Westen Tansanias gelangt man z.B. mit "Abendsonne Afrika", einem  auf Afrika-Safaris spezialisierten Reiseveranstalter: www.abendsonneafrika.de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Abendsonne Afrika und NomadTansania.

Die Reportage erschien in leicht gekürzter Fassung am 19. April 2015 in der Welt am Sonntag.