Montag, 18. März 2013

Die Hexen von Hongkong

Nächtliche Skyline von Hongkong (Foto: © Maike Grunwald)
(Reise, Hongkong, Maike Grunwald) Hongkong ist eine Stadt, die mich tief beeidruckt hat. Die Mischung aus westlichem Einfluss und kantonesischem Erbe ist einzigartig und oft überraschend. Oder wusstet Ihr, dass zwischen den glitzernen Shopping Malls Hexen sitzen, bei denen man für fünf Euro Leute verfluchen lassen kann? Wie genau das geht, erfahrt Ihr in meinem folgenden Bericht.

Profizauberin Frau Chin (r.) schlägt mit einem Schuh auf den Namen des Feindes der Kundin (l.) / Mrs. Chin (r.) performs "Villain Hitting" for a custumer (l.) (Foto: © Maike Grunwald)
Laute Schläge kommen aus einer finsteren Ecke unter der Schnellstraßenbrücke. Frau Chin ist wieder mal am Hexen. Mit einem alten Schuh prügelt die 76-Jährige auf ein Stück Papier ein. Dabei murmelt sie unablässig die übelsten Verwünschungen. Das Ritual, das direkt an der stark befahrenen Kreuzung von Hennessy und Canal Road stattfindet, hat eine Frau um die 50 bestellt. Für sie soll Profizauberin Chin einen Feind verfluchen. Sein Name steht auf dem Stück Papier, das sich unter den Schlägen in Fetzen auflöst. „Ich schlage deine Hand, ich schlage deinen Kopf, ich wünsche, dass du stirbst.“ 30 bis 40 solcher Flüche murmelt Frau Chin.
Zauberritual Ta Hsiao-Jen: Frau Chin verbrennt Rucherstäbchen und magisches Papier /
Ta Hsiao-Jen ritual: Ms. Chin is burning incence and magical paper
(Foto: © Dietmar Telser)
Noch hängt der Duft der Räucherstäbchen in der Luft, die sie zuvor als Gabe
an die Götter verbrannt hat. Dann sammelt sie die Papierfetzen ein, schmiert rohes Schweinefleisch darauf, stopft sie in einen Tiger aus Papier und verbrennt das Ganze. Als Opfer für die guten Kräfte zündet sie magisches Gui-Ren-Papier an. Statuen des Affengotts und der Göttin der Gnade hat Frau Chin neben ihren Plastikstuhl gestellt. Zum Schluss fragt sie die Götter, ob die Verfluchung gelungen ist. Die beiden Wurfsteine aus rotem Holz besagen: ja. Die Kundin reicht der Hexe zufrieden und erleichtert 200 Hongkong-Dollar, umgerechnet 20 Euro. Viermal so viel, wie eine Verwünschung normalerweise kostet.


Unter der Goose Neck Bridge (Gänsehalsbrücke) (Foto: © Dietmar Telser)

Ta Hsiao-Jen, ein altes kantonesisches Zauberritual, wird bis heute unter dem
Canal Road Flyover praktiziert, nur einen Steinwurf vom schicken Times Square
entfernt. Das „Hitting Petty People“, das „Schlagen kleingeistiger Leute“, kann verhassten Politikern, dem ungerechten Chef oder dem hartnäckigen Exfreund
der Tochter gelten. Oder es sind böse Kräfte gemeint wie der Weiße Tiger Bái
Hu, der bei dem Ritual symbolisch mit Schweinefleisch gesättigt wird.


Jingzhe, der Tag des Weißen Tigers und Tag des Erwachens der Insekten, gilt als beste Zeit für das Verfluchungsritual. Im westlichen Kalender fällt er normalerweise auf Anfang März. Dann wimmelt es zwischen den glitzernden Wolkenkratzern in Causeway Bay an dem Ort, den die Hongkonger Goose Neck Bridge (Gänsehalsbrücke) nennen, von Hexen und Kunden.


Zauber, Zauber: Harry-Potter-Werbung vor der Shopping Mall am Times Square im Stadtteil Causeway Bay, nur einen Steinwurf entfernt von der Goose Neck Bridge (Foto: © Maike Grunwald)

Sky100: Die 360°-Indoor-Aussichtsplattform auf 393 m Höhe im ICC (International Commerce Center) im Stadtteil Kawloon ist der perfekte Startpunkt für Touristen (Foto: © Maike Grunwald)
Zur gleichen Zeit stürmen im Stadtteil Kowloon Touristen in den Sky100, eine
360-Grad-Aussichtsplattform auf 393 Meter Höhe im 100. Stock des International Commerce Center. Dieses ragt aus einer gigantischen Baustelle empor, auf der bis 2014 ein Mega-Bahnhof für Schnellzüge entstehen wird, der Hongkong mit Chinas Großstädten verbindet. An der Spitze des funkelnden Büroturms glänzt „das höchste Hotel der Welt“. Das „Ritz-Carlton Hong Kong“, durchgestylt von Asiens Top-Designern, hält gleich mehrere Weltrekorde, darunter der höchste Pool, die höchste Bar und die höchste Open-Air-Terrasse, alle auf 490 Metern.


Zum Artikel Höchstes Hotel der Welt: Mein Zimmer im 110. Stock

Außenansicht des ICC in Hongkong, in dessen Spitze das höchste Hotel der Welt sitzt, das Ritz-Carlton Hong Kong (Foto: © Maike Grunwald)

Mein Zimmer im 110. Stock im Ritz Carlton Hong Kong (Foto: © Maike Grunwald)
PR-Dame Tweety bringt uns im Expresslift zur Plattform Sky100. Stolzer als
auf den grandiosen Ausblick ist sie auf die Technik-Spielereien des Besucherzentrums. Vor einer Touch-Screen-Wand sagt sie strahlend: „Suchen Sie sich aus, was Sie in Hongkong sehen wollen. Ihren maßgeschneiderten Reiseführer bekommen Sie dann mit allen Infos per Mail auf Ihr Smartphone.“


Blick von der Lounge & Bar im 102. Stock des Ritz-Carlton Hong Kong (Foto: © Maike Grunwald)

Spiralen aus Räucherstäbchen hängen an der Decke des Man Mo Tempels / Incence burning in Man Mo Temple (Foto: © Maike Grunwald)
Stunden später im taoistischen Man-Mo-Tempel, der dem Gott der Literatur
(Man) und dem des Kriegs (Mo), dem Schutzpatron der Polizisten und Verbrecher, gewidmet ist. Stille, Dämmerlicht, an der Decke gigantische Räucherstäbchen-Spiralen, deren Rauch die Wünsche der Gläubigen zu den Göttern tragen soll. Man erzählt uns, im Tempel habe man Tieropfer dargebracht. Das Blut geköpfter Hühner wurde dabei auf Papierstücke  geträufelt, die die streitenden Parteien mit Flüchen und Versprechungen beschriftet hatten. Dann wurde das Papier verbrannt und damit sei der Konflikt beigelegt gewesen.

Orakel im Tempel: Die Stäbchen werden geschüttelt, bis eines herausfällt, die Nummer darauf hat eine Bedeutung, die in einem Buch (auf Chinesisch und Englisch) nachgeschlagen werden kann / Find out the future: Oracle in Man Mo Temple (Foto: © Maike Grunwald)

Der Man Mo Tempel liegt mitten im Stadtteil Central / Man Mo Temple, situated in Central district (Foto: © Maike Grunwald)
Nicht weniger kurios ist das Würfelorakel Jiaobei: Man wirft zwei halbmondförmige Holzsteine mit einer Yang- und einer Yin-Seite. Das Orakel kennt nur drei Antworten, „ja“, „nein“ oder: „Die Götter lachen über die Frage.“ „Wird unser Team beim Drachenbootrennen gewinnen?“, wollen meine Mitreisenden mit Blick auf das morgige Spektakel wissen. „Werden wir Letzter?“, „Kommen wir unter die ersten drei?“ „Nein!“, lautet jedes Mal die Antwort des Orakels. Es sollte recht behalten: Wir werden Vierter. Na, wenigstens haben uns unsere Gegner nicht von den Goose-Neck-Hexen verfluchen lassen! 

Lebendige Traditionen: Vorm Startschuss beim Festival "International Dragon Boat Races of Hong Kong Dragon Boat Carnival" (Foto: © Maike Grunwald)


Beim Internationalen Drachenbootrennen-Festival holte unser Team den 4. Platz / International Dragon Boat Races of Hong Kong Dragon Boat Carnival (Foto: © Maike Grunwald)

Party, Party: Nachtleben auf den Straßen von SoHo, ( 'South of Hollywood Road') im Stadtteil Central / Nightlife in SoHo (Foto: © Maike Grunwald)

Mehr Infos, gut gemacht & multimedial: www.discoverhongkong.com

Dieser Artikel erschien im Oktober 2012 in der Zeitschrift abenteuer und reisen.

Die Reise wurde unterstützt von: Hong Kong Tourism Board, China Tours.