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Donnerstag, 12. Juli 2018

Nordseeinsel Juist: Wo selbst die Müllabfuhr märchenhaft ist

"Zauberland": Auf Juist ist die Welt noch in Ordnung (Foto: © Maike Grunwald)
Bäng, bäng, bäng! Uuuuuiiiiii! Bäng, bäng, bäng! So wird der Bürger in Deutschland üblicherweise aus dem Schlaf gerissen, wenn die Müllabfuhr kommt. Außer, er flüchtet nach Juist. Die Nordseeinsel, 17 Kilometer lang und nur 600 Meter breit, ist autofrei. Es gibt keinen Straßenlärm, keine Staus, keinen Krach im Morgengrauen. "Töwerland" wird sie genannt, das heißt Zauberland auf Plattdeutsch.

Niedliche Pferde statt lärmender LKW


Pferdekutschen ersetzen LKW, selbst bei der Müllabfuhr. Und so vernimmt der Sommerfrischler höchstens das sanfte Klöpp, klöpp, klöpp von Pferdehufen, den Klang von Ponyhöfen und Hochzeitskutschen, wenn die Männer in Orange die Tonnen leeren. Vielleicht hört er noch ein paar Zurufe auf Plattdüütsk, um das Urlaubsflair perfekt zu färben. Und zwar erst gegen elf Uhr vormittags, wenn der Inselbesucher bereits den ersten Strandspaziergang genossen hat und darüber nachdenkt, ob er zum Mittag lieber Pannfisch im "Lütje Teehuus" essen möchte oder zur "Domäne Bill" rausradeln, wo der legendäre Rosinenstuten mit Butter lockt.

Müllwagen auf Juist (Foto: © Maike Grunwald)


Pferde sind "gute Mitarbeiter"


"Das mit den Pferden ist schon 'ne schöne Sache", sagt Ode Odens. Der strohblonde Hüne mit den langen Beinen, wuchtigen Schultern und riesigen Händen sieht aus, als ob er die mit gelben Säcken beladenen Anhänger zur Not auch ohne vierbeinige Helfer zur Müllpresse am Hafen ziehen könnte. Seit 14 Jahren ist der 48-Jährige Müllmann, mit Pferden hat er nur durch seinen Beruf zu tun. Früher, auf Norderney, hat er mit einem gewöhnlichen LKW gearbeitet. Das ging zwar schneller, aber die Arbeit mit den Pferden gefällt ihm. "Die sind gute Mitarbeiter", sagt der Friese.

Ode Odens (r.) und Abbo Bröckelmann (Foto: © Maike Grunwald)


Frische Brise und "Störtebecker"


Sein Kollege Abbo Bröckelmann nickt. Der 51-Jährige Insulaner mit dem Wahlfängervollbart sitzt auf dem Kutschbock, während Ode und ein Kollege die Mülltonnen auf die beiden Anhänger entleeren. Dabei umweht sie frische Nordseeluft – kein Müllgestank trübt die Idylle. Theo und Gustav, die beiden kräftigen Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferde, arbeiten im Wechsel mit dem anderen Gespann der Müllabfuhr. "Die Pferde haben jeden zweiten Tag Urlaub. Das würde uns auch gefallen", witzelt Ode. Der gesammelte Müll wird einmal die Woche per Schiff ans Festland gebracht, von der "Störtebeker". Sogar das Müllschiff trägt einen romantischen Namen.

Auch malerisch: Das Standesamt im historischen Badehaus (Foto: © Maike Grunwald)


Heino, der Wattflüsterer


Wie aus dem Bilderbuch wirkt auch Wattführer Heino mit seinem wettergegerbten Gesicht, dem Lachgrübchen und plattdeutschen Akzent, dem Kapitänskäppi und der friesischen Körpergröße. "Der Wattflüsterer" ist eine Koryphäe, auch über die Nordsee hinaus. Bei den Stammgästen – und das ist gefühlt fast jeder Urlauber auf Juist – ist der 67-Jährige mindestens so prominent wie der gleichnamige Schlagerstar, den er persönlich kennt und auch schon durch das Reich der Herzmuscheln und Sandpierwürmer geführt hat.

Wattwanderführer Heino in seinem Element (Foto: © Maike Grunwald)


"Größte Kläranlage der Welt"


Heute ist Heino Behring mit 39 Friesenkindern im Watt: Viertklässler aus Victorbur auf Klassenfahrt. Der Wattflüsterer erzählt Anekdoten und macht Witze, aber er verfolgt eine Agenda: Die Zehnjährigen sollen sehen, wie wichtig und schützenswert das Watt ist. "Der Nationalpark Wattenmeer ist die größte Kläranlage der Welt", sagt er. "Von außen sieht es aus wie langweiliger Matsch. Aber es ist ein Naturwunder, ein riesiger lebender Organismus, der ununterbrochen die Umwelt säubert und im Gleichgewicht hält."

Faszinierend und schön: das Watt von Juist (Foto: © Maike Grunwald)


Es ist nicht leicht, die Aufmerksamkeit von 39 Zehnjährigen zu fesseln, aber Heino hat seine Tricks. Zu Beginn lässt er die Kinder lebende Herzmuscheln sammeln. Er füllt zwei leere Honiggläser mit trübem Wasser. Nur in eines legt er einige der Muscheln. "Ihr werdet den Unterschied sehen, wenn wir zurückkommen", prophezeit er.

Mit Muscheln sprechen


Heino Behring erklärt den Schülern, wie das Wasser, das bei Flut von der Nordsee in das europäische Wattenmeer kommt, nach der Hochflut komplett gereinigt ins Meer zurückfließt. Er zeigt ihnen, wie Wattwürmer arbeiten und lässt die Kinder mit Muscheln sprechen. Er lacht dabei, aber es ist ihm ernst. Der auf Juist geborene Insulaner kennt das Watt wie kaum ein anderer, und er liebt es als das, was es ist: ein gigantisches Lebewesen. 

Heino erklärt den Schülern, wie Herzmuscheln arbeiten (Foto: © Maike Grunwald)


Sein Vater Alfred, seinerzeit ebenfalls Wattwanderführer, nahm ihn täglich mit hinaus. Heino ist im Watt aufgewachsen, führte schon 1961 seine erste Gruppe durch das nicht ungefährliche Biotop, legte eine staatliche Prüfung ab, bildete seinen Sohn Ino als Wattführer aus und gab sogar seiner Frau Hannelore bei ihrer Trauung das Jawort im Watt. "Manche sagen, ich sei ein Fanatiker. Aber ich habe gesehen, wie die Muschelbänke im Laufe der Jahrzehnte verschwunden sind, wie viel Schaden angerichtet wurde durch Überfischung und Baggerungen in den Küstenhäfen."

Heino zeigt eine ca. 18 Jahre alte, seltene Sandklaffmuschel (Foto: © Maike Grunwald)


Wichtig auch für Afrika und Grönland


Den Friesenkindern im Watt erzählt er, dass sie stolz sein können auf ihr Unesco-Weltnaturerbe, das auch als "Tankstelle des Vogelzugs" weltweit wichtig sei. "Hier fressen sich im Frühjahr die Vögel voll und ruhen sich aus, wenn sie von Afrika in ihre Brutgebiete nach Island, Grönland und die Tundra Sibiriens ziehen. Auch für die dortige Natur ist das Wattenmeer wichtig." Tatsächlich ist es das vogelreichste Gebiet Europas. Und am Ende der Wattwanderung staunen die Kinder erneut: In dem Honigglas mit Muscheln ist das Wasser nun kristallklar, in dem ohne noch immer trüb. "Alter!", murmelt ein Zehnjähriger beeindruckt. Punktsieg für Heino.

Links trübes Wasser, rechts das von Muscheln gefilterte (Foto: © Maike Grunwald)


Urlauber sammeln Müll


Wenn der Knirps groß ist, wird er vielleicht mit seinen Kindern Urlaub auf Juist machen – und beim Strandspaziergang ganz selbstverständlich Müll einsammeln. Den Plastikabfall zu entsorgen, den die See an die Strände der Nordseite wirft, gehört für Sommerfrischler schon jetzt zu einem anständigem Inselerlebnis. Die Gemeinde hat daher mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Nationalparkverwaltung acht "Strand-Müll-Boxen" aufgestellt. Dort können Spaziergänger Plastik, Metall und Ähnliches entsorgen und so verhindern, dass sich Seehunde, Kegelrobben, Vögel und andere Tiere in Müllteilen verfangen oder sie verschlucken. 

Inhalt einer "Strand-Müll-Box": Diesen Müll haben Urlauber gesammelt (Foto: © Maike Grunwald)


Untersuchungen zufolge haben 90 Prozent aller Eissturmvögel in der Nordsee Müllteile im Magen. Am Strand zersetzt sich Plastik schnell in den gefürchteten Mikromüll, der über die Nahrungskette auch in Menschenmägen landet. Muscheln essen viele Insulaner schon lange nicht mehr.


Strand auf Juist - kein Zufall, dass er sauber ist (Foto: © Maike Grunwald)


Infos & Adressen für Urlaub auf Juist


Anreise


Stilecht mit der autofreien Fähre ab Norddeich-Mole mit Anschluss vom gleichnamigen IC-Bahnhof. Die Fähre fährt nur bei Flut, maximal zwei Mal am Tag. Fährplan: www.reederei-frisia.de


Bei Anreise mit dem Auto Parkmöglichkeiten in Norddeich.
Infos, Preise, Links zu Fähr- und Flugplänen: www.juist.de/zauberinsel/anreise 


Taxi auf Juist (Foto: © Maike Grunwald)


Übernachtung

Hotel Pabst
4-Sterne-Superior-Wellnesshotel, familiengeführt, traditionsreich, komfortabel, DZ ab 180 Euro, www.hotelpabst.de


Haus Maike
Pension mit Sauna und mediterranem Garten, familiengeführt, charmant, frisch, DZ ab 42 Euro, www.haus-maike.de


Dünen - da Juist so schmal ist, sind alle Unterkünfte in Strandnähe (Foto: © Maike Grunwald)


Restaurants

„Lütje Teehuus“ im Januspark

Ostfriesentee, Waffeln, Fisch, www.juist-gastronomie.de/luetje-teehaus

„Domäne Bill“
Hausmannskost, selbst gebackene Rosinenstuten, Selbstbedienung, Strandflair, auf der Bill am Westende der Insel, Mittwochs Ruhetag, Telefon: 04935 1212

„Rüdiger's" im Hotel Pabst
Gourmet-Restaurant, moderne Küche, www.hotelpabst.de

„DANZER´s - feines Achter´n Diek“
Feinschmecker-Slow-Food, www.hotel-achterdiek.de


Vorm "Lütje Teehuus" (Foto: © Maike Grunwald)
 

Natur erleben

Wattwanderung mit Heino Behring
Verschiedene Führungen für Familien mit Kindern, Erwachsene, Gruppen
Termine, Preise, Kontakt, Infos: Tel. 0171 / 522 58 50, www.heino-juist.de

Nationalpark-Haus Juist
Sehenswerte Ausstellung, öffentliche Touren für Groß und Klein
www.nationalparkhaus-wattenmeer.de/nationalpark-haus-juist

Otto-Leege-Pfad
Barrierefreier Naturlehrpfad durch Dünenlandschaft, reizvoll gestaltet mit Kunstwerken und Infotafeln, www.juist.de/zauberinsel/reisefuehrer/otto-leege-pfad.html

Aktiv-Reise vom BUND

Mit Umweltschutz-Aktionen und weiteren Aktivitäten
www.bund-reisen.de/reise/insel-juist-nationalpark-nds-wattenmeer.html


Schautafel am schönen Otto-Leege-Naturlehrpfad (Foto: © Maike Grunwald)


Mehr Informationen

 
Kurverwaltung Juist, www.juist.de


Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Kurverwaltung der Insel Juist. Dieser Text beruht jedoch natürlich auf meiner eigenen Meinung.

Strand, Strand, Strand! (Foto: © Maike Grunwald)
Dies ist der persönliche Reiseblog der Journalistin Maike Grunwald. Alle Texte und Fotos © Maike Grunwald. Abdruck und Online-Nutzung nur gegen Honorar. Kontakt: www.maikegrunwald.com

Anmerkung: Dieser Artikel erschien erstmals im Juli 2015 im Reiseteil der WELT. Es hat sich aber nichts Wesentliches verändert: Noch immer ist Juist die einzige Nordseeinsel mit Pferdewagen als Müllabfuhr, Heino bietet fantastische Wattwanderungen an - und Juist ist nach wie vor eins meiner Lieblingsreiseziele.