Donnerstag, 2. September 2010

Polen, 1. Tag: Was bitte ist Świętokrzyskie?


80 km von Krakau beginnt die Świętokrzyskie-Region. Unterwegs sahen wir dieses Feuerwehrauto von 1972 (Foto: Maike Grunwald)
(Reise, Polen, Maike Grunwald) Ich bin schon viel herumgekommen, auch in Polen. Doch die Świętokrzyskie-Region sagte mir nichts. Allein schon der Name ist ein Abenteuer. Ausgesprochen "Tschi-ento-tschinski" (oder so ähnlich) heißt er wörtlich übersetzt "Heiligenkreuz". Denn die Gebirgsregion zwischen Krakau und Warschau ist nach einer Reliquie aus Splittern des Kreuzes Jesu benannt. Das Heiligtum wird in einem Kloster angebetet, das auf dem Gipfel des "Kahlen Berges" steht, der widerum als traditioneller Treffpunkt für Hexen berüchtigt ist. Doch dazu später mehr.

Die gleichnamige Woywodschaft ist ländlich, ärmlich und kaum bekannt, noch nicht einmal in Polen. Entsprechend neugierig war ich, als ich mich mit drei weiteren Journalisten aufmachte, um diese mysteriöse Region auf einer Pressereise zu entdecken.



Schloss Krzyztór beindruckt heute als riesige Ruine (Foto: Maike Grunwald)
Wir wurden nicht enttäuscht. Gleich am ersten Tag präsentierte uns Ewa, unsere Reiseführerin für die kommenden vier Tage, die riesige Ruine Krzyztór. Das 1,3 ha große Schloss, das 1631-1644 von dem damaligen Fürsten Krzysztof Ossoliński gebaut wurde, muss das Werk eines Größenwahnsinnigen gewesen sein. Bis zur Entstehung von Versailles war es die größte Schlossanlage Europas und mit Sicherheit die prächtigste: Selbst in den Pferdeställen, die 100 edle Araber beherbergten, hingen Kristallspiegel, die Tröge waren aus Marmor. Einer der gigantischen Säle hatte als Decke ein riesiges gläsernes Aquarium mit exotischen Fischen, damals ein architektonisches Wunder.

Der adlige Bauherr war besessen von Magie, Astrologie- und Astronomie. Die Anzahl der Türme entspricht den sieben Wochentagen, es gab zwölf Säle, so viele wie Monate im Jahr, 365 Zimmer, jedes Detail wurde nach dem Kalender ausgerichtet. Es gibt unerforschte Tunnel und Keller, in denen Archäologen bis heute Dinge finden, deren Sinn sie nicht erklären können. Legenden um sagenhafte Schätze, verborgene Tunnel und mindestens zwei Geister - eine weiße Frau und ein schwarzer Ritter - sind immer noch lebendig. Man braucht eineinhalb Stunden, um die Ruinen zur Hälfte zu besichtigen. "Die andere Hälfte ist identisch, alles ist spiegelgleich angelegt", versichert uns Ewa. Noch wird die Ruine weiter gesichert und erforscht, betreten darf man sie auf eigene Gefahr - auch einen Teil der unterirdischen Gänge.



Ewa mit einem der beiden Pferde im Stall ihrer Pension (Foto: Maike Grunwald)
Es ist ein Glücksfall, dass wir Ewa als Begleitung haben. Bisher gibt es nur eine Handvoll deutsch sprechende Touristenführer in der Region. Eine von ihnen ist Ewa Nogaj, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter eine kleine Landpension in Haliszka führt, ganz in der Nähe der Krzyztopór-Ruine. Sie hat einen wunderschönen Garten, zwei Hunde (Killer und Rambo) und zwei Pferde, Laura und Roxy.

Man kann reiten, Kutschfahrten unternehmen, wandern, Autotouren machen oder sich von Ewa durch die Gegend fahren und die besten Attraktionen zeigen lassen (ca. 100 Euro pro Tag für Touren mit Führung auf Deutsch). Sie kennt die Gegend wie ihre Westentasche, sie ist hier aufgewachsen. Umgerechnet 10 Euro kostet die Übernachtung pro Person in einem der drei Gästezimmer mit Blick auf die Schlossruine oder auf das Heiligenkreuz-Kloster. Ewa serviert selbst gezogenes Gemüse, Eier von den frei laufenden Hühnern ihrer Mutter, selbst gesammelte Pilze und hausgemachte Produkte wie Saft, Marmelade, Saure Gurken und Salate - Landidylle, wie sie im Buche steht.


Dinos schaffen Jobs: lebensgroße Modelle im Jurapark Bałtów (Foto: Maike Grunwald)

Eines aber wird uns während unserer Reise schnell klar: Die Świętokrzyskie-Region wird nicht mehr lange so ursprünglich bleiben, wie sie es jetzt noch ist. Die polnische Regierung pumpt Millionen in die Entwicklung des Tourismus. Das Gebiet hat eine Menge zu bieten, vor allem für Natur- und Aktivtouristen. Auch geologisch ist das Heiligenkreuzgebirge, eines der ältesten Europas, hochinteressant.

In den Siebzigerjahren fand man in der Nähe von Bałtów Dinosaurierspuren, 2004 wurde hier ein riesiger Dinopark eröffnet, der Jurapark Bałtów.  Ungefähr 70 Kunststoff-Saurier in Lebensgröße sind entlang eines Evolutions-Weges zwischen Bäumen und Sträuchern zu bestaunen, erstellt und aktulisiert in Zusammenarbeit mit der Universität Warschau. Abgesehen von den Dinos bietet der Park weitere Attraktionen, darunter eine Achterbahn, Floßfahrten auf dem Fluss Kamienne, Pferdereiten und Skilifte für den Winter.


Überkandidelte Renovierungen: Hotel Pałac Tarnowskich (Foto: Maike Grunwald)
In den Tourismus setzt die Region große Hoffnungen. Zu Recht, wie wir beim Abendessen im örtlichen Verein "Klub Bałtek" erfahren. In dem noch sehr sozialistisch anmutendem Interieur des Vereinshauses erwartet uns ein liebevoll gedeckter Tisch, köstliche, deftige regionale Küche und der Vorsitzender des Klub Bałtek. Jarosław Kuba erklärt uns, wie und warum sich der Verein dafür einsetzt, die touistische Entwicklung der der 4.000-Seelen-Gemeinde voranzutreiben. "2002 hatten wir eine Arbeitslosenquote von 37 Prozent, heute von drei Prozent", sagt er. Das sind Zahlen, denen man wenig entgegen setzen kann, vor allem, da die Bevölkerungszahl ungefähr gleich geblieben ist.

Die Nacht verbringen wir in einem skurril renovierten Schloss, dem Drei-Sterne-Hotel Pałac Tarnowskich: Halb Rokoko, halb Jugendstil, viel Gold und viel nackter Busen - die verückte Deko dürfte wenig zu tun haben mit der Original-Inneneinrichtung des alten Wohnschlosses, das im zweiten Weltkrieg als deutsches Offizierskasino diente und danach verfiel. Der Garten ist sehr hübsch, der Blick auf die Autowaschanlage gegenüber weniger. Auch das gehört zur Entwicklung der Region.

© Maike Grunwald, www.maikegrunwald.com

Hier geht's zu den weiteren Folgen über die Region Świętokrzyskie:

Polen, 1. Tag: Was bitte ist Świętokrzyskie?
Polen, 2. Tag: Hexen & Mönche
Polen, 3. Tag: Ritter, Pferde und ein Paradies
Polen, 4.Tag: Abschied von Świętokrzyskie

Diese Reise wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt.