Freitag, 3. September 2010

Polen, 2. Tag: Hexen & Mönche



Zum Heiligenkreuzkloster auf dem Gipfel des Kahlen Berges gelangt man zu Fuß oder mit der Pferdekutsche. Autos sind in diesem Teil des Nationalparks verboten (Fotos: K.Peczalski, M.Grunwald)
(Reise, Polen, Maike Grunwald) Heute besuchen wir das Kloster Święty Krzyż (Heiliges Kreuz), das der Heiligenkreuz-Region ihren Namen gab. Es liegt auf dem Gipfel des 600 Meter hohen Berges Łysa Góra inmitten des Heiligenkreuz-Nationalparks. In dem rund 7.000 ha großen geschützten Buchen- und Tannenwald leben Wölfe und 28 weitere geschützte Tierarten, dazu 82 sehr seltene Pflanzen. Autoverkehr ist verboten, daher steigt man entweder zu Fuß den steilen "Königsweg" zum Gipfel hinauf oder nimmt eine der Pferdekutschen, die Touristen über einen längeren, alphaltierten Weg nach oben bringen.

Der Berg Łysa ist als Hexenberg bekannt, so wie der Brocken im Harz. Der Sage nach sollen die magischen Weiber hier einst wilde Feste gefeiert haben. "Manche ältere Pilger trauen sich bis heute nicht, den Kreuzweg zu verlassen, aus Angst vor den Hexen. Man hat auch Reste einer heidnischen Kultstätte aus dem 8. Jahrhundert gefunden", sagt unsere Reiseführerin Ewa.
Das Gold der Steinzeit: der gestreifte Feuertein oder Flint war wegen seiner Härte für die Herstellung von Werkzeug äußerst wertvoll (Foto: Maike Grunwald)
Aber bevor wir zum Hexenberg fahren, geht es zunächst unter die Erde. In der Nähe der Stadt
Ostrowiec Świętokrzyski fand man 1922 etwa 4.000 Höhlen - eines der ersten Bergwerke Europas, wie sich herausstellen sollte. Denn in Krzemionk, so der Name des archäologischen Schutzgebietes, wurde schon in der Neolithzeit vor 5.000-4.000 Jahren Feuerstein aus von Menschen gegrabenen Stollen gefördert.

Zuerst gehen wir durch das kleine Museum, das in polnischer und englischer Sprache die Geschichte des Stollenbaus erklärt und Fundstücke aus der Steinzeit zeigt. Dann klettern wir 12 Meter tief unter die Erde: In einem 500 Meter langem Schaubergwerk kann man in die Original-Stollen blicken. In manchen dieser Höhlen sind einfache Kohlezeichnungen zu sehen, deren Alter auf 4.000 Jahre geschätzt wird, in anderen  Steinzeitmensch-Puppen bei der Arbeit. 

"Früher konnte man hier auch Schmuck aus Feuerstein kaufen, jetzt ist es untersagt", sagt Ewa, als wir wieder oben sind. "Aber in vielen Läden kann man normalerweise noch Restbestände kaufen." Tatsächlich sehe ich später in einem Souvenirstand am Fuße des Königswegs einige hübsche Anhänger aus fein poliertem, marmorierten Feuerstein. 

Blick über die Geröllfelder des Kahlen Berges (Foto: Maike Grunwald)
Massenweise Steine sehen wir auch auf dem Weg zum Heiligenkreuzkoster. Łysa Góra heißt auf Deutsch "Kahler Berg", der Name kommt von den typischen Geröllfeldern in der Nähe des Gipfels. Auf einer Plattform kann man die Aussicht genießen. Wir werden von einem Wolkenbruch empfangen - genau wie eine große Gruppe polnischer Tagestouristen, die einen Betriebsausflug auf den Kahlen Berg gemacht haben. Sie lassen sich die Stimmung nicht verderben, wobei große Mengen guten polnischen Wodkas helfen. 

Mumie eines Benediktiner-Mönches in der Krypta des Klosters (Foto: Maike Grunwald)
Oben angekommen, werden wir zunächst in die Krypta des Heiligenkreuzklosters geführt. 1.400 Benediktiner-Mönche seien in der Gruft begraben, erzählt man uns. Den katholischen Kult um Reliquien und Gebeine finde ich als eher nüchterne Hamburger Protestantin immer wieder faszinierend. Die gut erhaltenen Mumien der Benedektiner-Mönche, die hier im Kloster aufbewahrt werden, halten jeden Vergleich mit denen in Rom stand. In einem gläsernen Sarg bestaunen wir schaudernd die Mumie des Fürsten und Feldherren Jeremi Wiśniowiecki (1612-1641), der als besonders wohlhabend und grausam galt.

Das Kloster Święty Krzyż birgt
einen gotischer Kreuzgang aus dem 15. Jh., Fragmente einer romanischen Mauer aus dem 12. Jh., eine klassizistische Kirche aus dem 18. Jh. sowie seltene Gemälde und Fresken (Foto: POT)
Heute leben 44 Menschen in dem Kloster, darunter sieben Priester und 15 Novizen, alles Mitglieder des
Missionarsordens der Oblaten der Unbefleckten Maria. Gegründet wurde das Kloster 1006 von den Benediktinern. Seither hat es eine wechselvolle und auch blutige Geschichte vorzuweisen. Im Zweiten Weltkrieg fanden hier über 6.000 sowjetische Soldaten den Tod, die in den Klostermauern unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten wurden. "Aber für uns als Christen ist es natürlich wichtig, zu verzeihen", sagt Pater Kaziemierz Bialok, der uns das Kloster zeigt. 


Pater Kaziemierz Bialok präsentiert stolz die Produkte des Klosters. Es gibt alles - von Naturarzneien gegen Gicht bis hin zu Liebestränken, Honig-Wodka und Süßigkeiten (Foto: Maike Grunwald)
Die komplizierte Legende um die Splitter des heilgen Kreuzes, die uns der freundliche Pater erklärt, verstehe ich nicht so ganz, es geht um den Sohn des heiligen Stephan, der die Reliquie zu seinem Schutz dabei hat, sich bei der Jagd aber verläuft, dann einen weißen Hirsch sieht, zum Kloster findet und als Dank die Reliquie spendet - oder so ähnlich. Wir sehen aber, dass die Splitter, die in einem Kreuz eingearbeitet sind, bis heute Pilger anziehen und regelmäßig angebetet werden. 

Dann führt uns Pater Kaziemierz Bialok in das Café der Klosterbrüder, in dem es herrlich nach Honig duftet. Hier kann man Kräuter-Arzneien kaufen, die von den Oblaten-Brüdern nach alter Benediktiner-Tradition selbst hergestellt werden. Unter den Naturarzneien sind Mittel gegen Allergien oder für die Schönheit der Renner, außerdem der Honig-Wodka "Kamianniak", der für und gegen alles gut sein soll, sowie die Liebesdroge Lubczyk. Es gibt auch regionale Honig- und Bonbonspezialitäten. 

Außerdem kann man bei den Mönchen sehr lecker und preiswert Kaffee trinken und Kleinigkeiten essen. Wenn man sich einen Tag vorher telefonisch anmeldet, bekommt man sogar ein dreigängiges Mittagsmenü gezaubert - selten habe ich so köstliche Hausmannskost gegessen. "Die Pilzsuppe war gut wie bei meiner Oma!", seufzt Magda vom polnischen Fremdenverkehrsamt, die uns begleitet, ganz ungläubig, als wir hinausgehen.
Vorsicht, Hexen! Diese jungen Damen versuchten, uns zum Hexentanz zu verführen (Foto: Maike Grunwald)

Draußen wandern wir an der klassizistischen Kirche aus dem 18. Jahrhundert vorbei und hinunter zur früheren Hexentanzstelle. Hier endet auch der Kreuzweg, der weiter unten begonnen hat und von wunderschön geschnitzten Figuren gesäumt ist, die Jesu Weg zum Kreuz illustrieren. Die Dekoration, die vor einigen Marienstatuen niedergelegt wurde, mutet seltsam archaisch, fast heidnisch an: Mit Gras zusammengebundene kleine Kreuze aus Ästen, welke Blumen, Steine mit aufgeklebten Heiligenbildern und andere Gaben.

Am Schluss gibt es noch eine Überraschung: Drei lustige junge Hexen lauern uns auf, schubsen uns mit ihren Besen, tanzen wild um eine kleine Feuerstelle und schenken uns einen Zaubertrank, "damit ihr euch in die Region verliebt!". Der Tourismusverband hat sie wohl für uns engagiert. Oder etwas doch nicht?


Kurozwęk: Das Schloss wurde innen und außen liebevoll und originalgetreu renoviert. Die Fassade erstrahlt in "pompejanischen Rosa", den Stil nennt der Schlossherr "ruhiger Barock" (Foto: Maike Grunwald)
Obwohl wir schon so viel gesehen haben, geht es gleich weiter im eng gestrickten Programm, schließlich sind wir auf einer Pressereise und "nicht zum Spaß hier!", scherzt Magda vom polnischen Fremdenverkehrsamt. Unser Ziel ist das Palastensemble Kurozwęk, zu dem u.a. ein Wohnschloss, eine Orangerie mit herrlichem Rosengarten, ein Maislabyrinth, eine Farm mit 100 Milchkühen und ein Gestüt mit 50 wertvollen Araber-Pferden gehören. Mehrere Hunde, darunter der freundliche dicke Mischling Sphinx, begrüßen uns auf dem 400 ha großem Gelände - und der sympatische Schlossherr Marcin Popiel, der eindeutig sein ganzes Herzblut in die Renovierungs- und Ausbauarbeiten gesteckt hat.

Alter Adel kennt keinen Dünkel: Marcin Popiel vor seinem Maislabyrinth, bei dem er auch selber mal Hand anlegt
"Unsere Familie ist seit 1246 hier ansässig, 1380 wurde das Schloss gebaut. Mein Onkel sorgte 1989 dafür, dass es wieder in den Familienbesitz kam. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Sowjetzeit war es in einem desolaten Zustand. Dank Fördergeldern von der EU und Preisgeldern einer Schweizer Stiftung konnte ich es renovieren lassen", erklärt uns der Hausherr auf Englisch. Polnisch spricht er nur mit französischem Akzent, da er in Belgien aufgewachsen ist. Nach dem Erwerb des Schlosses zog er mit seiner Frau und den jüngeren fünf von seinen acht Kindern nach Polen, die Familie lebt in einem niedlichen Landhaus neben dem Schloss.  

Die Bisonherde ist eine der Hauptattraktionen des Schloss-Ensembles
Inzwischen ist das Schloss-Ensemble ein Hotel und Freizeitpark, ein beliebter Ort für Hochzeiten und andere große Feiern. 130.000 Gäste kamen 2009. Hauptattraktion ist eine 100-köpfige Bisonherde, die man bei einer "Bison-Safari" aus nächster Nähe beobachten darf. Allerdings nur aus der Sicherheit eines Kremserwagens heraus, der mit einem Traktor in das Gehege gezogen wird, denn: "Bisons sind sehr gefährlich, bevor man merkt, dass sie angreifen wollen, sind sie schon da", so Marcin Popiel. Es sind amerikanische Büffel, die dem heimischen Wisent aber zum Verwechseln ähnlich sehen. "Amerikanische Bisons sind viel leichter zu halten und stehen nicht unter Schutz, weshalb man sie bei uns im Restaurant auch serviert bekommen kann", so der Hausherr.

Zu den weiteren Attraktionen gehört ein Mini-Zoo mit Lamas, Eseln und Straußen, "eigentlich eher ein Gnadenhof, die Vögel stammen aus pleite gegangenen Straußenfarmen, die hier vor ein paar Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen", sagt Marcin Popiel. Er ist unzufrieden mit der Größe ihres Geheges, überhaupt sei alles noch nicht fertig, seine Ideen scheinen grenzenlos, auch die Keller sollen weiter renoviert und in eine Art Geisterbahn verwandelt werden. Es ist dieser Tatendrang und Optimismus, der die Menschen in dieser Region so sympathisch machen.

© Maike Grunwald, www.maikegrunwald.com

Hier geht's zu den weiteren Folgen über die Region Świętokrzyskie:

Polen, 1. Tag: Was bitte ist Świętokrzyskie?
Polen, 2. Tag: Hexen & Mönche
Polen, 3. Tag: Ritter, Pferde und ein Paradies
Polen, 4.Tag: Abschied von Świętokrzyskie

Diese Reise wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt.