Dienstag, 4. August 2015

Hinter den sieben Bergen: Warum ich Fischen im Allgäu liebe

Auf dem Ofterschwanger Horn: Der Panoramaweg bietet phänomenale Ausblicke (Foto: © www.allgaeu.de)
Gehen drei Allgäuer wandern. Sie wandern und wandern, bis zum Gipfel. Sagt der eine: "Schaut mal, ein Adler." Sie wandern weiter, über blühende Wiesen den Berg hinunter Richtung Tal und wieder hoch aufs nächste Horn. Sagt der zweite: "Das war kein Adler, das war eine Dohle." Sie nehmen eine Brotzeit zu sich und wandern weiter. Als sie abends wieder im Dorf sind, sagt der dritte: "Also, wenn ihr euch die ganze Zeit nur streitet, geh ich nie wieder mit euch wandern." 



Wortkarges Bergvolk?


Der Mann, der uns diesen Witz erzählt, ist selbst Allgäuer: Walter Kienle, Wander- und Naturführer aus Balderschwang, das am höchsten gelegene der fünf so genannten "Hörnerdörfer", zu denen noch Bolsterlang, Fischen, Obermaiselstein und Ofterschwang gehören. Ihr gemeinsamer Name verweist auf die "Hörnergruppe", bei der sie liegen: Sieben Berge zwischen 1406 m (das Ofterschwanger Horn) und 1787 m (das Riedberger Horn). 

Blick aufs Rubihorn, zu dessen Füßen das idyllische Hörnerdorf Fischen liegt (Foto: © Maike Grunwald / Privat)


Als "kleines diebisches Bergvolk am Rande der Alpen" wurden die armen Allgäuer in alten Enzyklopädien beschrieben. Bis heute verfolgt sie der Ruf, wortkarg und wenig umgänglich zu sein - daher auch der Witz, den Walter erzählt. Mich wundern diese Klischees, die mir selbstironische Allgäuer erzählen. Als Hamburger Deern scheint mir diese Gegend zwar aufregend fremd, auch habe ich manchmal Probleme, den urigen Dialekt zu verstehen. Trotzdem fühle ich mich hier sofort zuhause wie ein gern gesehener Gast. 

Mit Blumen geschmückte Kuh im Hörnerdorf Fischen (Foto: © Maike Grunwald / Privat)


Zahme Eichhörnchen und stille Kraftorte


Ich wohne in Fischen, einem sympatischen Örtchen am Rubihorn, in dem es neben einem Wald mit handzahmen Eichhörnchen noch viele andere Attraktionen für große und kleine Kinder und Naturfans wie mich gibt.

Zum Beispiel den Auwaldsee. Ein "Kraftort" sei er, sagen die Hiesigen über das stille Gewässer, das am Ursprung der rauschenden Iller liegt. An warmen Sommertagen leuchtet sein Wasser smaragdgrün, in klaren Winternächten spiegelt er weiß vereist das Licht von Tausenden von Sternen. Einer den schönsten Plätze ist die schmale Stelle zwischen Iller und Auwaldsee: Ich höre den tosenden Fluss und blicke gleichzeitig auf den spiegelglatten, ruhigen See.

 
Blick auf Fischen mit der Pfarrkirche und Frauenkapelle (Foto: © Maike Grunwald / Privat)


Herrliche Hörner und „Gottesbeton“


Um uns herum erheben sich majestätisch die "Hörner". Ihre eigenartigen Formen verdanken die Berge dem "Gottesbeton“. So nennt man respektvoll-ironisch das für diese Gegend typische Nagelfluh-Gestein: ein Konglomerat aus festen runden Kieselsteinen, die mit Sand und Ton zu festem "Beton" verbacken sind.

Für Wanderer jeden Alters ist die Gegend ein echtes Paradies - und das zu jeder Jahreszeit: Etliche Panorama-Wanderwege werden auch im Winter geräumt, so dass man zu jeder Jahreszeit mit ganz normalen Wanderschuhen über die "Hörnerkette" wandern kann. Wilde Bergkulissen, majestätische Gipfel, blühende Bergwiesen und gemütliche Alphütten verlocken zu ausgiebigen Touren. Zwischendurch ein Picknick in der Natur mit würzigem Allgäuer Bergkäse - das ist Gipfelglück für mich! 


"Gottesbeton": So nennt man im Allgäu das Nagelfluh-Gestein (Foto: © Maike Grunwald)


Allgäuer Käse und Bier selbst machen und genießen


Viele Allgäuer Käsekünstler lassen Besuchern gerne hinter die Kulissen ihrer Kunst blicken. Die Bergkäs-Sennerei Schweineberg in Ofterschwang zum Beispiel bietet jeden Dienstag eine Sennereiführung mit Käseprobe an. Beim Bergbauernwirt in Bolsterlang können wir sogar selbst Käse machen und mit allen Sinnen genießen.  

Außerdem gibt es beim Bergbauernwirt gemütliche Bier-Brau-Abende: Manuela und Wolfgang, die in ihrer Wirtschaft eine eigene kleine Brauerei betreiben, zeigen uns das alte Handwerk, das bis vor nicht allzu langer Zeit noch jeder Allgäuer in seiner Bauernküche selbst betrieben hat: Beim „Einmaischen“ werden Malz und Wasser vermengt, dann wird „geläutert“, Hopfen und Hefe zugegeben, bis das Ganze vergoren wird. Wolfgang hat die verschiedenen Zwischenschritte schon vorbereitet, so dass wir Malz, Hopfen, Würze, Sud und Jungbier testen können – und am Ende die köstlichen selbst gebrauten Biere. Etwa die "Schwarze Seele": Dieses Bier gibt es weltweit nur hier. 

Nebenbei erfahren wir Spannendes rund ums Bier, zum Beispiel wie die verschiedenen Geschmacksnoten entstehen und Skurriles zur Geschichte des Bieres. Der Brauabend, der jeden Donnerstag im Bergbauernwirt stattfindet, ist kostenlos. Eine Verkostung von sechs Bieren aus bayrischen und österreichischen Brauereien mit internationalen Bierstilen wie Stout, Porter, Wit, Kräuter-oder Fruchtbier, Bockbier und holzfassgereiftes Bier, zu dem Käse und Schokolade gereicht wird, findet mehrmals pro Woche statt (ab drei Personen, rund 14 Euro pro Person). 

Manuela und Wolfgang betreiben im Bergbauernwirt in Bolsterlang eine eigene Kleinbrauerei und zeigen Gästen, wie man Bier braut (Foto: © Maike Grunwald)


Lokale Leckereien mit und ohne Fleisch


Die gute Allgäuer Küche zelebriert der
Migelig-Obend“ jeden Montag beim Bergbauernwirt. Übersetzt heißt das so viel wie "gemütlicher, geselliger Abend": Bei Live-Musik, Geschichten und Rezept-Tipps gibt es Allgäuer Spezialitäten in vier Gängen, etwa Brot im Tontopf, Kässpatze und "Katzeg'schrei" (="Rindfleischpfanne", keine Sorge). Diese und andere Gerichte stehen natürlich auch täglich regulär beim Bergbauernwirt auf der Speisekarte, zum Beispiel "Käseerdäpfle" (="Käse-Bratkartoffeln), eine der vielen leckeren Varianten für Vegetarier wie mich.

Ein feiner Kulinarik-Tipp in Fischen ist das Restaurant "Poststüble". Urlauber und Einheimischen lieben es wegen der hervorragenden Qualität ihrer gehobenen und gutbürgerlichen Küche. Ich habe natürlich in Allgäuer Kässpatzen geschwelgt, die mit buntem Salat serviert werden. Sie haben so gut geschmeckt, dass ich die riesige Portion tatsächlich ganz aufgegessen habe.


Kuh zum Kuscheln: Kissen im Hotel Rosenstock in Fischen, wo ich mich sehr wohl gefühlt habe (Foto: © Maike Grunwald)



In drei Höhenlagen wandern


So viel Schlemmerei gibt Energie für Wandertouren. Die neueste Art, die Allgäuer Landschaft in ihrer Vielfalt zu genießen, ist die "Wandertrilogie": 876 Kilometer gut ausgeschilderte, gepflegte Wege in 51 Etappen und drei Höhenlagen. Aus drei Routen kann jeder seine individuelle Tour nach Geschmack und Fitnessgrad zusammenstellen. Auf den Wegen zeigen Schilder die Wanderzeit und den Schwierigkeitsgrad bis zum nächsten Etappenziel. Ideal für Einsteiger ist die "Wiesengänger-Route", die in etwa 600 bis 900 Metern Höhe auf leichten Wegen durch die Landschaft führt. Die "Wasserläufer-Route" schlängelt sich dann schon in 800 bis 1500 Metern Höhe auf voralpinen Wegen an Wasserfällen, Seen und Flüssen entlang. 


Die Hörnerdörfer liegen an den anspruchsvolleren Etappen der "Himmelsstürmer-Route". Auf teils steilen Wegen in 1000 bis 2000 Metern Höhe ist fitte Wanderlust gefragt – und wird mit atemberaubenden Rundum-Panoramablicken in abgeschiedener Natur belohnt. Kleiner Tipp für Bequeme: Wer sein Gepäck nicht schleppen will, kann es transportieren lassen (Infos siehe unten). Besonders schön an der Wandertrilogie finde ich die Geschichten, die an bestimmten Orten auf Schildern zu lesen sind, zum Beispiel am Auwaldsee.


Der wunderschöne Auwaldsee in Fischen ist ein Ausgangspunkt der "Wandertrilogie" (Foto © Rainer Retzlaff / www.allgaeu.de)


Hörnertouren für Faule und Gipfelstürmer


Die Hörnergruppe bietet aber auch genügend leichte Wanderwege, die ideal für Familien mit Kindern oder gemütliche Spaziergänger sind. Etwa der schöne Panoramaweg vom Ofterschwanger Horn zum Bolsterlanger Horn, für den man 
etwa drei bis vier Stunden einkalkulieren sollte. Von beiden Seiten lässt sich der Auf- und Abstieg mit Bergbahnen bequem verkürzen. Zwischen den Talstationen fährt dann ein Pendelbus. 

Wir haben den Sessellift "Weltcup-Express" aufs Ofterschwanger Horn genommen - und ich habe die Fahrt trotz meiner leichten Höhen- und Sessellift-Angst (mit leichtem Adrenalinkick) gut überstanden.

Auf dem Panoramaweg
Ofterschwanger Horn zum Bolsterlanger Horn können wir dann mehrere Gipfel je nach Lust und Fitness entweder umgehen oder stürmen, zum Beispiel das Rangiswanger Horn (1612 m) oder den Weiherkopf (1665). Die Abstecher zu den Gipfeln führen dann jeweils über deutlich steilere Wege. Die Aussicht ist einmalig! Wer in einer gemischten Gruppe unterwegs ist, kann dann am Panoramaweg unterhalb der Gipfel wieder zusammen finden und gemeinsam weiterwandern.


Eine Wanderung über den Wannenkopf (1712 m) vom Riedberger Horn führt über blühende Wiesen (Foto © Hans Besler / www.allgaeu.de)


Rumpelklausen und der gefährlichste Ski


Ein sehenswerter Geheimtipp nicht nur für Regentage ist das Heimatmuseum in Fischen. Es ist
im „Gschwenderhaus“ beherbergt, einem 300 Jahre altem typischen Allgäuer Bauernhaus. Von außen wirkt es klein, aber innen offenbart sich ein erstaunlicher Reichtum an Bauernmöbeln, Trachten, Werkzeugen und anderen Alltagsgegenständen, liebevoll zusammengesammelt und gepflegt.

Gruselig sind die Kostüme für die Rumpelklausen, die nach uraltem Brauchtum am Nikolaustag Geister vertreiben. Neben einer Bauernküche samt Butterfass, Bierbrau- und Käserei-Utensilien, mehreren Schlafkammern, einer kompletten historischen Schuhmacherwerkstatt sowie beeindruckende Sammlungen von antiken Uhren und Kameras bestaune ich in Stall und Tenne einen Fuhrpark an historischen Bauerngeräten und alten Kutschen. 


Eine echte Entdeckung ist das große Skimuseum im ersten Stock: Es gehört zu den besten in Deutschland und ist bei Insidern auch international bekannt. Sogar ich als Nicht-Skifahrerin bestaune fasziniert den vielleicht ältesten Ski der Welt, den gefährlichsten Ski (aus Metall!) und weitere Extreme.

Im Heimatmuseum in Fischen: Kostüme der „Rumpelklausen“, die nach  lokalem Brauch am Nikolaustag Geister vertreiben, und der „Klause Bärbel“, die am Barbaratag am 4. Dezember umherzieht  (Foto: © Maike Grunwald)



Superlative und schöne Schellen

Überhaupt bergen die Hörnerdörfer einige Superlative. Zum Beispiel Walters Heimatdorf Balderschwang: mit einem Dorfkern auf 1044m ü.NN ist es die am höchsten gelegene Gemeinde in ganz Deutschland, erzählt er stolz. "Außerdem haben wir hier die höchste Passstraße und den wahrscheinlich ältesten Baum Deutschlands: Eine Eibe, die je nach botanischer Theorie entweder rund 1.000 oder vielleicht sogar 4.000 Jahre alt ist."

Echte Unikate der Handwerkskunst entdecke ich dann beim Kuhglocken-Riemen-Meister Herbert Vogler in Bolsterlang. Auf seinem 150 Jahre alten Nähross sitzend, fertigt der gelernte Raumausstatter und Sattler Riemen und Schmuckhalsbänder für Kuhglocken und Schellen, und zwar mit historischen Werkzeugen. Sie zieren seine Werkstatt ebenso wie Hunderte von Schellen, die überall herumstehen. Bis zu 40 Kilo wiegt eine Kuhglocke für den Almabtrieb. Die Form ist jeweils typisch für eine bestimmte Region. Im Allgäu ist die fast quadratisch wirkende Keilschelle üblich, im Tirol eine runde Schellenform, die unten schmaler wird. 

Kuhglocken und Schellen in der in der Werkstatt von Herbert Vogler in Bolsterlang (Foto: © Maike Grunwald)


Allgäuer Handwerk zum Zuschauen und Mitnehmen


Neben Auftragsarbeiten wie Schellen mit bestickten Riemen, etwa zu Hochzeitstagen oder Jubiläen, fertigt Herbert Vogler auch schmucke Gürtel für Kinder und Erwachsene oder maßgefertigte Hundehalsbänder, alles zu bestellen über seine Internetseite. Oder man holt sich ein Souvenir direkt in der Werkstatt, die er Besuchern bei Voranmeldung auch gerne zeigt.

 Herbert Vogler arbeitet auf einem 150 Jahre altem hölzernen Nähross (Foto: © Maike Grunwald)


Noch ein Schlusswort zum Thema wortkarge Allgäuer: Zuerst schien der  Meister diesem Klischee zu entsprechen - bis er bemerkt, dass ich mich wirklich für sein Handwerk interessiere. Daraufhin erzählt er mir alle möglichen Geheimnisse seiner Kunst und zeigt dazu die wichtigsten Arbeitsschritte. Als ich ihm zum Schluss frage, ob er aus der Gegend stamme, antwortet er trocken: "Nein". Er sei eine Hausgeburt aus Oberstdorf. Das liegt sechs Kilometer entfernt.

 Seine historischen Werkzeuge findet Herbert Vogler auf Flohmärkten und Werkstattauflösungen  (Foto: © Maike Grunwald)


Infos & Adressen


Hotel Rosenstock in Fischen
Schönes, freundliches und modern-uriges Vier-Sterne-Hotel mit sehr guter Küche, www.hotel-rosenstock.de

Restaurant Poststüble in Fischen
Gehobene und gutbürgerliche Allgäuer Küche bester Qualität. Infos auf der Facebook-Seite des Restaurants

Der Bergbauernwirt in Bolsterlang
Unterkunft, Restaurant, Bierbrauen und Käse selbst machen mit Manuela und Wolfgang, www.derbergbauernwirt.de 

Bergkäs-Sennerei Schweineberg in Ofterschwang
Allgäuer Käse kaufen und die Sennerei besichtigen, www.allgaeuer-bergkaese.de

Skimuseum und Heimatmuseum in Fischen
Im Gschwenderhaus, Eintritt 2 Euro, für Fischener Gäste frei, www.skimuseum-fischen.de

Allgäuer Kuhglocken, Gürtel, Hundehalsbänder
Werkstatt von Herbert Vogler in Bolsterlang, www.allgaeuer-kuhguertel.de

Wandertrilogie
Neu gestalteteter Fernwanderweg mit Service wie Gepäcktransport, 10,- Euro pro Etappe und Gepäckstück, Mail an: shuttle(at)allgaeu.de 
Kostenfreie Wandertrilogie-Übersichtskarte und Servicebuch mit Etappenbeschreibungen bestellbar über: info(at)allgaeu.de
Interaktive Karte, Etappenbeschreibung etc. unter www.allgaeu.de/wandern

Bergbahn zum Ofterschwanger Horn
Infos unter www.go-ofterschwang.de

Weitere Infos zum Urlaub im Allgäu
www.hoernerdoerfer.de
www.allgaeu.de 

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Hinweis: Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Allgäu GmbH, der offiziellen Tousmuszentrale der Region. Dieser Text beruht jedoch natürlich auf meiner eigenen Meinung.

Alle Texte und Fotos © Maike Grunwald (sofern nicht anders ausgewiesen). Abdruck und Online-Nutzung nur nach Absprache und gegen Honorar.